Den Makel, damit vorbestraft zu sein, wollte Vollmer nicht auf sich sitzen lassen, ging in Berufung und bekam in zweiter Instanz von einem logisch denkenden Richter nur mehr eine Geldbusse von einer D-Mark pro unzulässiger Rebe zugunsten eines gemeinnützigen Vereins. Die Aushackverordnung wurde nicht zurück genommen, dafür bekam der gebürtige Badener, der 1973 sein Weingut gegründet hatte, gleichzeitig vom rheinland-pfälzischen Landwirtschaftsministerium die „Erlaubnis zur Durchführung eines Anbaueignungsverfahrens für Cabernet-Reben“. Eigentlich ein Treppenwitz, aber damit wurde dem Gesetz Genüge getan, das in jener Zeit in Deutschland den Anbau von international längst als wertvoll anerkannten Sorten für nicht zulässig erklärte, aber dafür die Tore weit auf machte für jede Menge eher dubioser Neuzüchtungen.
Mit einer dieser Kreationen der Züchter wollte Heinrich Vollmer nichts zu tun haben. Dornfelder hatte er sich ins kritische Visier genommen und suchte eine Alternative. Seine Vorstöße bei den Behörden, es mal mit Cabernet Sauvignon probieren zu dürfen, wurden abschlägig beschieden. „Wird nicht reif in der Pfalz“, erklärten Experten, die sich noch nie richtig mit der Topsorte von Bordeaux auseinander gesetzt hatten und dies dann später vor Gericht zugeben mussten. Einige Jahre später konnten sie sich rückwirkend blamiert fühlen. Denn Vollmer hatte nicht nur bereits mit seinen illegalen Jungweinen von den 1984 gepflanzten Stöcken vor der ersten Gerichtsverhandlung deutlich gemacht, dass sich mit Cabernet in der Pfalz durchaus vernünftige Weine erzeugen lassen und sich die Sorte auch in Cuvées wohl fühlt. Er tat dies hinterher ebenso mit einer Reihe von gelungenen Jahrgängen. Und weil Pfalz-CS zudem ein gutes Lagerpotenzial hat, konnte der Ellerstadter solche Weine sogar bei einer besonderen Jubiläums-Veranstaltung entkorken: 25 Jahre legaler Cabernet Sauvignon. 1987 war das der Start für die offizielle Genehmigung dieser Edelrebe in ganz Deutschland. Chardonnay, Merlot, Cabernet franc, Syrah und andere internationale Sorten folgten mit den Jahren.
Den Anfang der Probe machte ein verbotener Wein vom Jahrgang 1987, der eigentlich vor einem Vierteljahrhundert entsorgt werden sollte. Aber der spitzbübische Pfälzer hatte einige Flaschen vor dem Zugriff der Behörden in Sicherheit gebracht und konnte jetzt demonstrieren, dass der Tropfen aus einem eigentlich schwachen Jahrgang immer noch stabil war und nur wenig Reifenuancen zeigte. Was folgte, waren ein 89er (stramme Säure, weil Vollmer damals den biologischen Säureabbau noch nicht praktizierte), ein prachtvoller, immer noch ansehnlicher 90er und einige weitere Jahrgänge, die keine Schwächen offenbarten. Besonders stark: 1999 und 2001.
Mit dabei war ein „Mitstreiter“ von einst: Helmut Schreck, der längst pensionierte Weinkontrolleur der Pfalz und in den achtziger Jahren „Quälgeist“ von Vollmer, wohl gegen seinen eigenen Willen. Er ließ erkennen, dass er damals durchaus Sympathie für den Revoluzzer empfand und schon im Vorfeld Bescheid wusste, was da in dessen Weinberg ablief. „Helmut baute jedem Winzer, der nicht dumm war, Brücken, wenn es mal etwas kritisch wurde“, plauderte Vollmer aus dem Nähkästchen.
Der Vorfall von 1987 hat ihm nicht geschadet, wie auch die Entwicklung seines Weingutes ausweist. Etwas mehr als 100 Hektar stehen unter Reben, gut 40 Prozent davon sind Eigenbesitz, der größere Rest ist Pachtfläche. Im 4000 qm großen Gutskeller reifen jedes Jahr rund 900 000 Liter Wein (jeweils die Hälfte Weiß und Rot) heran. Vom Cabernet werden 30 000 Flaschen gefüllt. Vollmer beliefert neben Privatkunden und der Gastronomie auch Großkunden wie den Lebensmittelhandel und die Deutsche Lufthansa, Condor, die Deutsche Bahn sowie Kreuzfahrtschiffe.
Der 63-Jährige hat ein ungewöhnliches Hobby und deshalb ein zweites Weingut in Argentinien, das vor 25 Jahren rund 100 km südlich von Mendoza gegründet wurde. Vollmer ist begeisterter Extrem-Berggänger und kennt in den Anden so ziemlich jeden hohen Gipfel. Einmal hätte es ihn beinahe auf 4000 Meter Höhe erwischt. Indios fanden den Schwerverletzten und retteten ihm das Leben. Aus Dankbarkeit schuf er für sie und ihre Familien Arbeitsplätze. Heute werden auf der Bodega Enrique Vollmer auf rund 190 Hektar (für argentinische Verhältnisse allenfalls Mittelstand) 100 000 Liter Weißwein und 900 000 Liter Rotwein erzeugt. Das Gut bietet zehn Großfamilien Arbeit. 190 Schüler besuchen eine auf dem Weingut befindliche Schule, die von Vollmer unterstützt wird.
Einige Monate im Jahr wird Heinrich in Argentinien zu Enrique, zuletzt im Februar trieb es ihn wieder auf einen 6000er hoch, während man im Tal die Erntevorbereitungen traf. 1000 Stöcke haben seine besondere Aufmerksamkeit. Diese Reben wurden 1987 nicht einfach ausgehackt, sondern mühsam ausgegraben und dann in Argentinien erneut gepflanzt. „Sie bringen nicht ganz das Mostgewicht wie die heimischen Reben“, hat Heinrich Vollmer im Lauf der Jahre erkannt. Aber er freut sich nach wie vor diebisch, dass diese weinhistorisch bedeutenden Stöcke nicht auf dem Altar der Weinbürokratie geopfert und entsorgt wurden.